Diagnostik

Diagnostik Persönlichkeitsstörung

ICD-11 Narzissmusdiagnose

Die Persönlichkeitspsychologie unterteilt den Narzissmus gesunder Personen in den grandiosen und den vulnerablen Typus (2-Faktoren-Modell), die differenzierter mit den 3 Persönlichkeitsfaktoren Extraversion, Unverträglichkeit/Antagonismus und Neurotizismus beschrieben werden können (3-Faktoren-Modell). Der grandiose und der vulnerable Typus finden sich auch unter den narzisstisch gestörten Patient:innen wieder, wobei die narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS), die im DSM-5 ausschließlich durch grandiose Merkmale charakterisiert ist, auch vulnerable Eigenschaften aufweist. Diese verbergen sich aber hinter den grandiosen Eigenschaften. Im klinischen Alltag ist der grandiose Narzissmus eher selten. Bislang konnte der vulnerable Narzissmus weder im DSM-5 noch in der ICD-10 diagnostiziert werden. In Zukunft wird er in der ICD-11 durch das dimensionale Konzept der Persönlichkeitsstörung jedoch abbildbar sein, auch wenn er als offizielle Diagnose in der ICD-11 nicht existieren wird.

Quelle: Wilfer, T., Spitzer, C. & Lammers, CH. Narzissmus – normal, pathologisch, grandios, vulnerabel?. Psychotherapie 69, 342–352 (2024). https://doi.org/10.1007/s00278-024-00741-6

Persönlichkeitsstörung

Eingangskriterien

Diagnostische Eingangskriterien (Voraussetzungen), Schwere und Einzelmerkmale sind wissenschaftlich klar definiert, um eine Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren.

Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung basiert auf klinischen Kriterien und erfordert ein persistierendes, unflexibles und durchdringendes Muster maladaptiver Züge, das mindestens zwei der folgenden Bereiche umfasst:
1. Kognition: Die Art und Weise, wie man sich selbst, andere und Ereignisse wahrnimmt und interpretiert (Unsere Wahrnehmung und Interpretation sind tiefe, komplexe, dynamische Prozesse unserer Psyche, die stark erfahrungsbasiert und eingebettet in unsere Umwelt sind. Sie sind ziemlich wahrscheinlich mehr oder weniger einseitig durch feste innere Überzeugungen "Glaubenssätze" und Annahmen "Erwartungen" ungünstig oder förderlich "verzerrt". Insbesondere bei Persönlichkeitsstörungen kommt es hier zu besonders "radikalen" Verzerrungen.)
2. Affektivität: Der Umfang, die Intensität, Labilität und Angemessenheit der emotionalen Reaktion. (Abwegige Emotionalität, typischerweise bei schweren Persönlichkeitsstörungen liegt eher eine negative Stimmung, Anspannung und ein eher verarmtes emotionales Spektrum vor. Häufig sind betroffene eher "schlecht drauf" und "wütend" oder "angespannt" und man kann mit ihnen emotional nicht so tief empathisch in Resonanz kommen oder neudeutsch "bonden".)
3. Zwischenmenschliches Funktionieren: Erhebliche zwischenmenschliche Probleme. (Sehr nerviges, selbstsabotierendes und zerstörerisches Verhalten, das nur durch Selbsteinsicht korrigiert und reduziert werden kann. Bei schweren Störungen kommt es hier zu erheblichen Normverletzungen, Regelverstößen und auch zu Straftatverhalten, das nicht immer begrenzt oder gestoppt werden kann, etwa durch ein resolutes "STOPP!" oder "So kann man nicht mit Menschen umgehen!" Bei Straftatverhalten sind härtere begrenzende Maßnahmen, juristische Konsequenzen und letztlich auch Bestrafungen durch Institutionen einer grenzgebenden Justiz notwendig, was aber nicht immer möglich ist.)
4. Impulskontrolle: Störung der eigenen Impulskontrolle, impulsives Verhalten. (Unbeherrschtes Verhalten, das vielen auch unbewusste, unwillkürliche Probleme bereitet. Hier immer auch an andere Ursachen für Störungen der Impulskontrolle denken!)

EXKURS

Missbrauch durch Macht-und-Kontroll-Verhalten dominanter Personen, oder Deutungshoheit einflussnehmende Parteien, auch aus dem persönlichen Umfeld der Betroffenen im diagnostischen Prozess bedenken und lieber ständiges behutsames Hinterfragen der präsentierten Schilderungen und beobachtbarer Merkmale. Es kann durchaus auch sein, dass sich emotional Abhängige und unterworfene Menschen "störend" zu ihrem Umfeld verhalten, wenn sie aus dem System (Partnerschaft, Familie, Beruf, Bubble, Gesellschaftsgruppe) aussteigen wollen und sich auf eine gesunde Weise emanzipieren.

Emanzipatorisches Verhalten wird immer durch "systemtreue" Interaktionspersonen als "störend" wahrgenommen, da sich die emanzipierte Person antisystemisch und damit "störend" verhalten muss. Somit kann nicht jede Person, die als "nervig" markiert oder "gelabelt" wird, die Störung haben, derer man sie bezichtigt. Ein Merkmal für das Vorliegen einer erheblichen Schieflage ist die Diffamierung mit schlechten Nachreden und Neid über die emanzipatorische Person. Neid, Diffamierung und Rufmord sind selbstoffenbarende Handlungen auch verdeckt narzisstischer Personen, die sehr wahrscheinlich um den Verlust ihrer eigenen, externen Validierungsquelle fürchten und manipulativ, emotional und konkret zerstörerisch eigene Motive auf Kosten der sich emanzipierenden Person verfolgen. Dazu zählen auch Personen, die beispielsweise Menschen als "Narzissten" diffamieren, pathologisieren und damit in eine menschlich katastrophale Ecke stellen. Das beraubt problematischen Menschen ihrer sehr persönliche Chance auf eine gesündere, sozial angemessenere Selbstentwicklung. Für die emanzipatorische Person gilt mutmachend dieses Sprichwort: Reisende (und solche, die sich auf die eigene Reise machen wollen) soll man nicht aufhalten.

Ausschlusskriterien

Die Ausschlusskriterien für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung sind wichtig, um sicherzustellen, dass die Diagnose korrekt gestellt wird. Laut ICD-10 und DSM-5 müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, damit eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden kann. Die Ausschlusskriterien beziehen sich auf Faktoren, die gegen das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung sprechen:

1. Keine bessere Erklärung durch eine andere psychische Störung: Das Verhaltensmuster darf nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärbar sein.
2. Keine direkte Folge einer Substanz oder somatischen Krankheit: Das Verhaltensmuster darf nicht direkt auf die körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Drogen, Medikamente) oder einer somatischen Krankheit zurückgehen.
3. Stabilität des Verhaltensmusters: Das Muster muss stabil und lang andauernd sein und darf nicht nur während einer Episode einer anderen psychischen Störung auftreten.
4. Beginn in der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter: Die Anzeichen einer Persönlichkeitsstörung müssen bis in die Adoleszenz oder das frühe Erwachsenenalter zurückverfolgt werden können.
5. Keine Anpassung an die Umgebung: Das Verhaltensmuster ist unflexibel und tiefgreifend über eine Vielzahl persönlicher und sozialer Situationen.
6. Klinisch bedeutsame Leiden oder Beeinträchtigungen: Das Verhaltensmuster führt zu klinisch bedeutsamem Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

Testverfahren und klinisches Urteil

Hierzu stehen valide gültige Testverfahren zur Verfügung, von denen aktuellere auch die ICD-11 Kriterien beachten und bspw. verdeckten, nicht grandiosen Narzissmus erfassen. Das ist Stand heute (2023) eine absolute Neuerung. Bedeutet für viele Betroffene und Missbrauchsopfer von Narzissten endlich Klarheit, da es nun hierzu eine sich etablierende Begriffssammlung gibt. Diese ist dimensional, nicht kategorial und umfasst je nach Testung 5 oder 6 Domänen menschlicher Charakterzüge.

Es ist wichtig, diese Kriterien sorgfältig zu prüfen, bevor eine Diagnose gestellt wird, um Fehldiagnosen zu vermeiden und die angemessene Behandlung sicherzustellen.

Die Schwere einer Persönlichkeitsstörung wird in der ICD-11 durch Schweregrade von Funktionsbeeinträchtigungen definiert, die in drei Gruppen eingeteilt sind: leicht, mittel und schwer. Zusätzlich werden prominente Persönlichkeitsmerkmale beschrieben, wie Negative Affektivität, Distanziertheit, Dissozialität, Enthemmung (Impulsivität) und Zwanghaftigkeit (Anankasmus). Persönlichkeitsstörungen können sich in ihrer Manifestation deutlich unterscheiden, aber es wird angenommen, dass sie durch eine Kombination von genetischen und Umgebungsfaktoren verursacht werden. Viele Persönlichkeitsstörungen werden mit dem Alter weniger gravierend, aber bestimmte Merkmale können bis zu einem gewissen Grad anhalten. Nicht untypisch ist die Schnittmenge zwischen Persönlichkeitsstörung und Trauma (siehe weiter unten). 

Verwechslung zwischen einer Persönlichkeitsstörung und dem Vorliegen einer Traumafolgestörung sind häufig. Typischerweise ist es herausfordernd, eine Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Muster von einer komplexen Traumafolgestörung zu unterscheiden. Herausfordernd kann es sein, zwischen psychischem Trauma (PTBS) als Traumafolgestörung nach narzisstischem Missbrauch (PNSD/PNBS – postnarzisstische Belastungsreaktion), sowie umgekehrt eine narzisstische Verhaltensweise als Traumareaktion (TANS – traumaassoziierte narzisstische Störung) von der narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu unterscheiden. Es ist hierbei auch ziemlich wahrscheinlich, dass diese feinen Unterschiede noch akademischer Natur sind und die Forschung, die klinische Erfahrung und die Praktikabilität verschiedener Behandlungsmethoden wird ähnlich wie bei der Borderline-PS zeigen, was sinnvoll ist und was nicht.

ADHS - Aufmerksamkeitsstörung: Vermutlich bedeutender als bisher durch die Fachwelt angenommen ist die Komorbidität mit ADHS, die den Grad narzisstischer Symptome erheblich verschärfen kann und eine Narzissmusstörung sogar mit ADHS selbst verwechselbar macht. Die psychopharmakologische Behandlung von ADHS kann hier rasch helfen.